Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk

Transkript

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#7 Radiointerview: Welche Bedeutung hat die polnische Geschichte im Alltag?                                                                                                           Sowie über die Politik, Religion, Vogelperspektive und interkulturelle Kompetenz                                                                                                              

Anna Lassonczyk ist interkulturelle Trainerin und heute mein Gast hier bei Antenne Mainz.

Wir haben ja so in ganz Europa, nennen wir es mal einen politischen Rechtsruck, wir in Deutschland bekommen das auch mit, wir schauen aber auch alle, die sich politisch interessieren so ein bisschen mit Sorge nach Polen und Ungarn. Wenn Du da bist, was hast Du da für ein Gefühl? Passiert da etwas, über das man sich Sorgen machen muss, oder sollten wir einfach nur wachsam sein und schauen, dass wir vielleicht helfen können an irgendeiner Stelle?

in Polen war das oft so, dass mal die rechte, mal die linke Partei gewählt wurde. Schon seit Jahren, in so einem vier oder fünf Jahresrhythmus, weil die Menschen zuerst mal mit der Regierung nicht zufrieden waren.

Aber das hatten wir ja auch. Das war ja eine gute Zeit, weil im Prinzip war einfach diese Filzbildung nicht möglich, weil wenn nach vier oder acht Jahren eine neue Regierung kommt, da ändert sich dann auch immer irgendetwas. In heutigen Zeiten kommt man vielleicht nicht so schnell voran mit manchen Dingen, wie Digitalisierung. Aber für eine Demokratie ist ja der ständige Wechsel nicht das schlechteste.

Ja. Wenn jetzt Menschen mit dem was jetzt gerade los ist nicht zufrieden sind und es denen zu extrem wird, dann wird es, glaube ich, bei den nächsten Wahlen vielleicht wieder eine Abwechslung geben. Was ich selbst merke, Polen ist in meinen Augen katholischer geworden, als vor 14 Jahren, wo ich das Land verlassen habe. Wenn ich mir überlege, was so im Fernsehen und auch im Radio gezeigt wird, welche Werbungen laufen, was da einfach gesagt wird, das war vor 14 Jahren noch nicht der Fall. Das liegt vielleicht daran, dass der Papst gestorben ist und die Menschen ihn so nach seinem Tod sehr viel ehren. Oder viele Faktoren spielen zusammen. Ich glaube, dass sich das ausgleicht. Je extremer es jetzt wird, eine desto größere Wahrscheinlichkeit wird es geben, dass es bei den nächsten Wahlen dann weniger extrem wird.

Naja, wenn man nach Deutschland guckt, ist es ja auch sehr irritierend, dass dort Fremdenfeindlichkeit entsteht, wo die wenigsten fremden Menschen leben, also das heißt die in diesem Land wirklich fremd sind. Was mich total irritiert und das heißt ja, Begegnungen führen ja scheinbar zu etwas ganz anderem als Fremdenhass, sondern die führen ja eher zu einem positiven Erlebnis.

Ja, in Polen hängt das leider mit der Geschichte zusammen. Polen wurde viele Jahre von vielen Ländern überfallen und ist auch für 123 Jahre von der Landkarte verschwunden. Also erst 1918 zusammen mit dem Ende des ersten Weltkriegs, ist Polen aufgetaucht. Vorher war das auf der Landkarte nicht vorhanden. Einen Teil Polens hat sich Russland genommen, einen Teil Deutschland, einen Teil Österreich und die Menschen haben 123 Jahre in so einer Art Kernstaat gelebt. Sie mussten die Sachen machen, die die fremde Macht ihnen gesagt hat. Polen wurde so oft überfallen, aufgrund auch der geographischen Lage, es ist in der Mitte von Europa, dass die Menschen tatsächlich Angst vor dem Fremden haben. Und wenn jemand eine andere Sprache spricht, oder plötzlich eine andere Hautfarbe hat oder andere Augen, drehen sich die Menschen um. Außer in Warschau, das ist ja als Hauptstadt sehr international. Sie haben einfach Angst, dass wieder jemand aus der Fremde kommt und entweder das Land auskauft oder dass irgendwas Böses passiert.

Das heißt, jetzt kann man natürlich sagen, das ist 150 Jahre her oder sowas, aber so eine Geschichte wirkt natürlich in einem Land auch. Und ich glaube bei uns Deutschen wirkt die auch irgendwie.

Ob es uns bewusst ist oder nicht, irgendwie haben wir das mit der Muttermilch aufgesaugt, oder es ist auch teilweise in der Literatur vorhanden. Das was die Schüler heutzutage in der Schule lesen, das ist zum Beispiel Literatur, die damals sehr für Patriotismus war. Das stand dann zwischen den Zeilen, öffentlich durfte man das nicht schreiben, weil das ja von den fremden Mächten verboten wurde. Aber da haben dann die Schriftsteller an die Menschen appelliert, dass sie sich für das Polentum einsetzen. Und wenn das immer noch Pflichtlektüre in der Schule ist, dann saugen das die Menschen, ja mit der Muttermilch auf und sind dann sehr patriotisch.

Also ich find das ja gar nicht verkehrt, wenn man eine tolle Einstellung zu seinem Land hat, das liebt und mag und auch dafür eintritt finde ich alles gut. Aber ich glaube und Du bist dafür ja auch unterwegs heute, ich glaube es ist so wichtig, dass man einen Blick über den Tellerrand in die Welt hat. Und einfach auch Verständnis für Geschichten von anderen Menschen.

Ja. So dieser Blick über den Tellerrand finde ich eine tolle Redewendung, genauso wie Vogelperspektive. Ich liebe Polen und ich liebe auch Deutschland. Deswegen wohne ich auch hier und bin gleichzeitig stolz drauf, dass ich aus Polen komme. Trotzdem will ich die Welt aus der Vogelperspektive betrachten können. Das heißt, ich vergleiche Länder, um so neutral wie möglich zu sein und mich nicht irgendwie in einer Geschichte zu verheddern.

Volker Pietzsch im Gespräch mit Anna Lassonczyk, hier bei Antenne Mainz.

Danke auch, mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Schön, dass wir gesprochen haben.