Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk

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#3 Radiointerview: Meine Kindheit und Schulzeit in Polen                              Anna Lassonczyk zu Gast bei Antenne Mainz

Mein heutiger Gast hat eine richtig spannende Geschichte. Anna Lassonczyk heute hier zu Gast bei Antenne Mainz.

Du bist in Polen aufgewachsen?

Ja. Ich bin da geboren und aufgewachsen, in einer sehr katholischen Familie. Meine Mutter ist inzwischen pensionierte Religionslehrerin. Mein Vater ist ein Buchhalter und Finanzabteilungsleiter in einem Unternehmen. Sehr strukturiert und konservativ, sehr regelorientiert. Meine Eltern waren sehr streng zu mir.

Wollte ich gerade sagen, regelorientiert, das war jetzt schon der nette Ausdruck dafür, dass es sehr streng zuging?

wer weiß, was da Böses passieren kann. Ich musste nicht nur jeden Sonntag in die Kirche, sondern auch zum Rosenkranz, es gab viel Zusatzprogramm in der Kirche. Jeden Donnerstag gab es auch etwas für die Jugendlichen, dann war samstags Chorprobe und ich musste tatsächlich dahin. Das hat mir nicht gefallen, weil ich ein sehr großes Bedürfnis nach Freiheit hatte. Danach, dass ich selbst bestimmen kann wie ich lebe. Ich habe als Kind sehr schnell gemerkt, dass die Kinder in anderen Familien und nebenan bei den Nachbarn irgendwie mehr lachen. Die Kinder und meine Freunde, die dürfen etwas, was ich nicht darf. Ich durfte zum Beispiel zu Titanic nicht ins Kino gehen, weil es da zwei Szenen gab, die mit Küssen oder mit Sex verbunden waren. Und das war schon zu viel für meine Eltern.

Also war es sehr streng.

Ja. Ich habe gar keinen genauen Zeitpunkt dafür, aber ich habe deswegen irgendwann angefangen alles in Frage zu stellen, was sie sagen und mir dann ein eigenes Bild zu machen. Von der Welt, von der Realität und weil sie doch so streng waren, dachte ich mir, ich mache jetzt nicht nach was sie sagen, sondern ich benutze meinen eigenen Kopf und überprüfe ob das tatsächlich stimmt.

Das ist aber schon sehr differenziert, also gerade als junger Mensch, klar in der Pubertät kommt das wahrscheinlich von alleine.

Ja, aber das war schon früher so.

Ich wollte es gerade sagen, das hat sich jetzt für mich früher angehört.

Genau, ich glaube, weil die so extrem waren. Zum Beispiel bei sowas wie der Berufswahl, da machen einige Jugendliche oder junge Menschen das, was die Eltern bewusst oder unbewusst von ihnen erwarten. Sie wollen die Wünsche der Eltern erfüllen, weil sie sie so lieben oder weil sie sich mit den Eltern so gut verstehen und darauf vertrauen, dass das was die Eltern sagen tatsächlich gut ist. Weil ich so oft der Meinung war, dass es irgendwie komisch ist, was meine Eltern sagen und es früh in Frage gestellt hatte, habe ich dann sehr früh schon meinen eigenen Kopf benutzt und so eine Art Tabula rasa gemacht und nicht das übernommen, was sie gesagt haben.

Da haben Deine Eltern doch einen guten Job gemacht.

Finde ich auch, dafür bin ich sehr dankbar. Am Montag war ich wieder in Polen und wir hatten eine wunderschöne Zeit. Wie ich aufgewachsen bin hat mich dazu geführt, dass ich jetzt bin wo ich bin und das ist toll. Es hat schon alles seinen Sinn.

War das Strenge dann auch in der Schule ein Problem?

Ja, weil ich dann oft das Gefühl hatte, dass ich nicht dazugehören kann, weil ich zum Beispiel irgendwas nicht durfte oder sehr für etwas kämpfen musste. Oder ich bin mit Tränen in den Augen zu einer Geburtstagsparty gegangen und musste um 10 Zuhause sein, obwohl meine Freunde noch bis 5,6 Uhr morgens gefeiert haben. Also sowas zum Beispiel.

Ja fühlt man sich dann auch ausgegrenzt. Ich hatte das jetzt gerade so auf Leistungen bezogen, das heißt war das streng, dass Du dann auch in der Schule gute Leistungen bringen musstest?

Ich musste es nicht, aber irgendwie wollte ich und das war so.

Okay, also keine Probleme, alles gut?

„Solange Du deine Füße unter unserem Tisch hast...“

Oh das ist ein ganz schlimmer Spruch oder?

Ja. Da wusste ich, ich will mein Leben sehr schnell und sehr früh in die Hand nehmen. Und ich wusste auch, dass das einfacher ist, wenn ich mehr weiß. Aber die Erkenntnis, dass ich mein Leben selber in die Hand nehmen muss, hat in der Schule nichts gebracht. In Polen ist das Spicken viel üblicher als in Deutschland. Darf ich das überhaupt so sagen? Aber inzwischen glaube ich, kann mir nichts mehr passieren. Ich habe das gelernt, was mir Spaß macht, also zum Beispiel Deutsch und andere Fremdsprachen. Und das, wo ich das Gefühl hatte, das ist irgendwie nur dummes auswendig lernen, das braucht kein Mensch, das habe ich einfach gespickt.

Deutsch als Fremdsprache, war das ein Wunsch?

Ja, es gab zuerst zwei Sprachen zur Auswahl, Englisch und Deutsch und ich habe mich dann für Deutsch entschieden. Und später im Lyzeum, das ist sowas wie das Gymnasium in Deutschland, hatte ich auch Englisch.

Aber es ist ja jetzt, glaube ich, nicht selbstverständlich, dass sich in Polen jemand für Deutsch entscheidet, weil ein bisschen angespannt ist die Beziehung schon zwischen den Ländern, oder?

Also Englisch ist immer die häufigste Sprache, bei Deutsch ist es unterschiedlich.

Ich glaube, dass ein Deutscher, der zum Beispiel im Osten wohnt, wahrscheinlich mit Polnisch mehr anfangen kann als mit Englisch? Und umgekehrt, jemand der in Polen wohnt, in der Nähe zu Deutschland, vielleicht mit Deutsch auch mehr anfangen kann.

Ja, Englisch ist dann die internationale Sprache und Deutsch ist aufgrund der Nachbarschaft vielleicht sinnvoll. Also ich habe so entschieden, weil meine Wurzeln auch deutsch sind, von daher wusste ich, dass ich irgendwann vielleicht mal nach Deutschland umziehen möchte.

Anna Lassonczyk heute hier zu Gast bei Antenne Mainz.

sehr viel Spaß gemacht. Schön, dass wir gesprochen haben.